Leserbrief aus dem Jenseits

Liebe Impuls-Redaktion,

als gebürtiger Hamburger lese ich immer wieder gern den IMPULS, der mich regelmäßig - wenn auch manchmal etwas verspätet - hier auf Wolke 7 im Physikerhimmel erreicht, von wo aus ich seit dem 1. Januar 1894 aufmerksam das wissenschaftliche Leben in meiner Heimatstadt verfolge. Wie stolz war ich auf meine Geburtsstadt, als dort 25 Jahre nach meinem Tod eine Universität gegründet wurde, zu deren internationalem Ruf gerade die Physiker so entscheidend beitragen sollten! Hätte es die zahlreichen physikalischen Institute und das DESY schon gegeben, als ich Ostern 1875 am Johanneum das Abitur ablegte, dann wäre ich zum Studium sicher daheim geblieben, statt nach Dresden, München und Berlin zu gehen.

Ganz besonders habe ich mich darüber gefreut, daß Ihr mir im letzten IMPULS (Juni 1995, S. 38) den Nobelpreis verliehen habt. Seitdem es diese Auszeichnung gibt, habe ich erst recht bedauert, schon mit 36 Jahren gestorben zu sein, denn daß ich den Preis bekommen hätte, wenn ich seine Stiftung durch Alfred Nobel noch erlebt hätte, war mir längst klar. Und richtig nett fand ich, daß Ihr gleichzeitig auch an meinen verehrten österreichischen Kollegen Ludwig Boltzmann gedacht habt, der damals ebenfalls leer ausgegangen ist. Dabei hätte man ihm, der erst 1906 gestorben ist, den Preis durchaus noch zu seinen Lebzeiten verleihen können. Zum Beispiel den von 1905, für den Max Planck ihn vorgeschlagen hat und den er mindestens ebenso verdient hätte wie mein mißratener Assistent Philipp Lenard, der statt dessen in Stockholm ausgezeichnet wurde und später als übler Nazi und Verfasser einer "Deutschen Physik" zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. Wie schön, daß nun endlich nachgeholt wird, was in der Vergangenheit versäumt worden ist!
Auf Seite 7 desselben IMPULS-Heftes habe ich erfahren, daß ich als Preisträger jetzt das Recht habe, selbst Kandidaten vorzuschlagen, und davon mache ich gleich Gebrauch. Ihr solltet bei der nächsten postumen Preisverleihung Lise Meitner berücksichtigen. Max Planck, der Preisträger von 1918, hat sie - leider erfolglos - schon 1935 vorgeschlagen, also drei Jahre bevor sie zusammen mit Otto Hahn und Fritz Straßmann die Kernspaltung entdeckt hat. Als diese Entdeckung dann von der schwedischen Akademie honoriert wurde, ging der Preis ungerechterweise nur an Otto Hahn. Über weitere Vorschläge werde ich nachdenken.

Für heute herzliche Grüße, alle guten Wünsche für Studium und Beruf und nochmals vielen Dank für diese unverhoffte Ehrung -

Euer Heinrich Hertz.


Liebe Hamburger Studentinnen und Studenten der Physik,

mit obigem Leserbrief aus dem Jenseits möchte ich mich von Ihnen verabschieden, nachdem ich 31 Semester lang am Institut für Geschichte der Naturwissenschaften (IGN) Vorlesungen und Seminare zur Geschichte der Physik durchgeführt habe. Es war eine schöne Zeit, und ich danke vor allem denen, die mich während oder nach meinen Vorlesungen mit Fragen "gelöchert" haben, für ihre konstruktive Kritik. Ich hoffe sehr, daß die Physikgeschichte weiterhin am IGN vertreten sein wird, und wünsche meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin schon jetzt mindestens ebenso viele aufmerksame und historisch interessierte Zuhörer/innen, wie ich sie kennengelernt habe.

Andreas Kleinert


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